Was Japaner so ‚anders‘ macht – Wichtige Aspekte der japanischen Kultur

Was Japaner so ‚anders‘ macht – Wichtige Aspekte der japanischen Kultur

Während ich jetzt eine Woche Urlaub hatte, habe ich verschiedene Universitäten, wie zum Beispiel die „Kwansei Gakuin University“ besucht und mich dort in den Unterricht mit reingesetzt. Besonders interessant war für mich dabei der Kurs zur japanischen Kultur. Das Motiv dahinter ist, dass man nur andere Kulturen verstehen kann, wenn man seine eigene versteht. Ich wurde oft gefragt, wieso Japaner immer so extrem nett oder der Arbeit treuer als der Familie sind. Hierbei will ich erklären, wie es dazu kommt und was das für mögliche Folgen haben kann. Zunächst werde ich Grundbegriffe erklären, die elementar für die darauffolgenden Beispiele sind. Den Beitrag schreibe ich in Zusammenarbeit mit meiner Freundin.

You can find the English version further down!

Grundbegriffe:

  • Bushido: Eine Zusammensetzung aus den Worten „Bushi“ = „Krieger“ und „do“ = „Weg“. Diese Krieger (Samurai) traten seit der Heian-Zeit (794) als Selbstverteidigungskräfte auf und haben für die öffentliche Sicherheit gesorgt. Dieser „Weg des Kriegers“ wurde in der Kamakura-Zeit (1185) eingeführt und beruht auf dem Zen Buddhismus. Dabei geht es nicht nur um Kampfkünste oder den Umgang mit Waffen, sondern viel mehr auch um die Loyalität dem Herrn gegenüber. Obwohl es seit der Meiji-Restauration keine Samurai mehr gibt, spielt Bushido im heutigen Japan noch eine große Rolle.
  • Giri: Die „Harmonie“ zwischen sich und einer anderen Person aufrecht zu erhalten ist sehr wichtig in Japan. Der Begriff „Giri“ wurde im alten Japan geprägt und spielte eine wichtige Rolle beim Reisanbau, da man hierbei von der gegenseitigen Hilfe abhängig war. „Giri“ tritt heute noch in verschiedenen Aspekten auf: 1. Moralische Verpflichtungen oder Prinzipien, 2. Regeln, die man beachten muss in Beziehung zu anderen und 3. Verhaltensweisen, denen man nachkommen oder die man befolgen muss, auch wenn es gegen den eigenen Willen ist.
  • Kenkyo: Die Tugend der Bescheidenheit. Der Sinn für Bescheidenheit erstarkte durch die Annahme, dass eine Person genauso gut ist, wie alle anderen. Kenkyo ist einer der wichtigsten Aspekte für gutes Verhalten und beeinflusst sehr stark die japanische Gruppenideologie.
  • Tatemae und Honne: Honne beschreibt persönliche Motive, Intentionen oder Gefühle, die entgegengesetzt dem was erwartet wird, laufen. Tatemae dagegen „bezieht sich auf Motive, Intentionen und Gefühle, die gesellschaftlich anerkannt sind und durch mehrheitliche Normen geformt, bestärkt und unterdrückt werden.“ (Honna & Hoffer, 1986, S. 94). Im heutigen Japan wird Honne nur zwischen sehr guten Freunden verwendet.

1. Das Problem der freiwilligen Gesprächsbeteiligung am Unterricht in japanischen Schulen und Universitäten:

Wenn man in Japan am Unterricht teilnimmt und der Lehrer eine Frage stellt, sieht man oft, dass nur wenige Studenten die Hand heben und etwas sagen wollen. Außerdem unterbricht niemand den Lehrer um etwas zu hinterfragen oder mehr zu erfahren. Für Ausländer scheint dies auf den ersten Blick, als ob japanische Studenten faul sind und sich nicht aktiv im Unterricht beteiligen wollen. Aber so ist es nicht; Gründe dafür können in der japanischen Kultur und Geschichte gefunden werden und haben ihre Wurzeln in der Zeit, als Japan noch von der Welt isoliert war.

Es heißt, ein guter Student fragt seine/-n Lehrer/-in keine Fragen, sondern ist leise und hört gut zu. Das heißt also, sollte jemand eine Frage stellen um mehr zu erfahren oder die Zusammenhänge besser zu verstehen, wird er direkt als nicht intelligent genug angesehen, um dem Unterricht zu folgen. Außerdem könnten weitere Fragen so wirken, als ob der Student seine/-n Lehrer/-in der Art und Weise zu unterrichten, kritisiert, da er/sie vermeintlich wichtige Themen anspricht. Daneben ist es auch wichtig, dass jüngere Studenten darauf warten, dass die älteren zuerst etwas sagen, da sie als klüger angesehen werden und junge Studenten ihren Respekt zeigen müssen. Diese ‚Regeln‘ nicht zu beachten kann zu vielen Problemen führen, wie zum Beispiel ignoriert zu werden oder schlimmer. In Japan ist es wichtig, dass man seine Fähigkeiten oder Wissen nicht zu sehr zeigt oder sich anderen deswegen überlegen fühlt. Wenn man es also auf dieses Beispiel anwendet, sagen Studenten eher wenig, da sie besorgt sind Nachteile, wie Ausgeschlossenheit oder Mobbing zu spüren zu bekommen.

Wenn man dieses Problem analysiert, erkennt man schnell, dass es mit der japanischen Kultur und dem gesellschaftlich anerkanntem Verhalten verbunden ist. Man erkennt „Kenkyo“ darin, wie ein Student nicht aus der Gruppe herausstechen will. Damit ist es also wichtig, dass alle sich auf einem Level befinden – wie dieses japanische Sprichwort besagt: „Der Nagel, der heraussticht, wird hineingehämmert“. Aber obwohl alle gleich sein sollen, spielt „Bushido“ eine große Rolle, wenn es zum Respektieren von Senpais kommt. Genauso kann man das Nicht-hinterfragen auch mit dem Samurai vergleichen, der nie etwas kritisiert oder hinterfragt hat. Das führt auch zum Aspekt von Honne und Tatemae. Während die Intention des Studenten ist, mehr zu erfahren, hat er/sie wegen den gesellschaftlich anerkannten Normen nicht genug Selbstbewusstsein, dies zu tun.

Soziale und kulturelle Werte können einen großen Einfluss auf das Verhalten junger Japaner haben. Indem sie sich an diese durch die Mehrheit festgelegten „Regeln“ halten, ist eine Klasse, in der Studenten ihre Gedanken austauschen, interessiert mehr wissen wollen und sich aktiv am Unterricht beteiligen eigentlich unmöglich. Denn jedes Mal, wenn jemand etwas sagt, überprüfen alle anderen unterbewusst, ob sich die Person den Normen entsprechend ‚richtig‘ verhält.

2. Das Problem der Überarbeitung und unendlichen Dankbarkeit:

In Japan aufzuwachsen und zu leben, bedeutet, dass man viel lernen muss für die Schule und Universität, damit man später einen guten Job bekommt. Aber einen guten Job zu haben, bedeutet auch gleichzeitig, dass man hin und wieder Überstunden machen muss – was viele junge Japaner am Anfang sicherlich nicht erkennen. Auf den ersten Blick denkt man jetzt, dass es nicht sehr viel mit der Einstellung „Lieber sterbe ich, als mich zu entehren“ zu tun hat – hat es aber. Die Gründe, wieso Japaner sich so sehr aufopfern für harte Arbeit hat viel mit Giri, der Beziehung des Samurais gegenüber dem Herr und Bushido zu tun.

Japanische Schüler, die die Schule abschließen, kämpfen sehr stark mit den Aufnahmeprüfungen der Universitäten. Da Eltern oft sehr hohe Geldbeträge für diese Tests zahlen, will das Kind sie nicht enttäuschen. Beim Versuch, dieser Verpflichtung nachzukommen und Dankbarkeit zu zeigen, lernen Schüler Nächte durch, selbst wenn es bedeutet, die Grenze von dem was sie aushalten können, zu überschreiten. Das ist mit dem Denken verbunden, dass man Respekt zeigen und etwas zurückgeben sollte an Personen, die einen helfen oder unterstützen. In der Ära der Samurai war es möglich, die Ehre der Familie wiederherzustellen, indem man „Seppuku“ beging (ritueller Suizid – oft ausgeführt von Samurai). Dies erklärt die Einstellung „Lieber sterbe ich, als mich zu entehren“. Verglichen mit dem Beispiel der japanischen Schüler, lernen diese lieber bis zum Burnout oder Tod, anstatt im Test zu versagen und die Eltern zu enttäuschen (Bushido).

Wegen Überarbeitung zu sterben passiert in Japan so oft, dass es dafür bereits das Wort „Karoshi“ gibt. Besonders für junge Japaner ist es hart, den Anforderungen gerecht zu werden, da sie den resultierenden Stress nicht gewohnt sind. Verglichen mit anderen Ländern, feuern japanische Unternehmen ihre Mitarbeiter nur sehr selten. Daher ist die Loyalität und Dankbarkeit gegenüber dem Arbeitgeber wichtiger als die eigene Gesundheit und das Wohlbefinden. Daran lassen sich Aspekte, wie Giri und die respektvolle Beziehung zwischen Samurai und Herr erkennen. Genau wie Schüler, arbeiten vor allem junge Arbeiter besonders hart und ignorieren Aspekte wie Überarbeitung komplett. Verglichen mit dem Samurai, der Seppuku begeht um die Ehre der Familie wiederherzustellen, nehmen sich heutzutage Angestellte keinen Urlaub, arbeiten bis zum Limit und schätzen das Unternehmen höher als die Familie. Denn alles was man anders macht als andere, alles was dem Unternehmen möglicherweise schaden könnte, könnte am Ende einen selbst ‚entehren‘.

Obwohl Seppuku 1873 abgeschafft wurde, sind traditionelle Werte, wie Bushido immer noch wichtig und werden respektiert von jungen Japanern. Gründe dafür sind, dass sich diese an älteren, erfahrenen Personen orientieren – in den oben erläuterten Fällen die Eltern oder ältere Mitarbeiter. Ich denke also im heutigen Japan ist die Einstellung „Lieber sterbe ich, als mich zu entehren“ immer noch sehr populär. Dabei muss man aber auch erwähnen, dass es seit dem Ende des zweiten Weltkrieges mit dem Öffnen Japans gegenüber anderen Ländern und Kulturen einen Wandel gibt. Das könnte in den nächsten Jahrzenten einen großen Einfluss auf japanische Jugendliche haben.

Zu dem Thema gibt es hier noch einen interessanten Artikel aus der New York Times!


English:

I just had vacation for one week and visited different universities in that time – for example the “Kwansei Gakuin University”. I also attended the classes. Really interesting was the one about Japanese culture. The reason why they learn about it is that you only can understand other cultures, if you understand your own culture. I often got asked why Japanese are always extremely nice or are more faithful to work than to their family. Here I want to explain why it is like that and what possible impacts could be. First, I will explain basic terms which are important for the following examples. I’m writing this post in cooperation with my girlfriend.

Basic terms:

  • Bushido: A combination of the words “Bushi” = “warrior” and “do” = “way”. Those warriors (Samurai) occurred since the Heian period (794) as self-defense forces and took care of public safety. This “Way of the Warrior” was introduced in the Kamakura period and is based on Zen Buddhism. This was not just about martial arts and skills with weapons but more about loyalty towards the lord. Although there are no Samurai anymore since the Meiji Restoration, nowadays Bushido is still very important in Japan.
  • Giri: Keeping up the “harmony” between oneself and another person is important in Japan. The term “Giri” has been coined in ancient Japan when people where dependent on each other because of growing rice. Today, “Giri” also occurs in different aspects: 1. Moral principles or duty, 2. Rules one must obey in social relationships, 3. Behavior one is obliged to follow or what must be done against one’s will.
  • Kenkyo: The virtue of modesty. The sense of modesty in Japan originally arose from the assumption that one person’s honor was as good as everyone else’s. This spirit is thought as the most important aspect of proper behavior in Japan and this effects in maintaining the group ideology of Japanese.
  • Tatemae and Honne: Honne describes personal motives, intentions or feelings, which are the opposite of what is expected. “Tatemae refers to motives or intentions that are socially-tuned, those that are shaped, encouraged, or suppressed by majority norms.” (Honna & Hoffer, 1986, p. 94). In today’s Japan, Honne is just used between close friends.

1. The Problem of active participation in class:

When attending a class in Japan and the teacher asks a question, you often do not see students raising their hands. Also, nobody interrupts the teacher to question or get to know more about specific topics. To people from foreign countries this might seem as if Japanese students are lazy and do not want to participate actively in class. But that is not really the case; the reasons for that can be found in Japanese culture and history and have their roots in the time when Japan was isolated from the world.

It is said a good student does not ask his/her teacher many questions but is quiet and listens carefully. This basically means, if a student asks questions to understand things better, he/she seems to be not intelligent enough to follow. Also, asking further questions related to the topic might seem as if the student criticizes the teacher’s way of teaching because of not mentioning allegedly important things. Moreover, when it comes to relationships among students it is important to wait for the older ones to speak first because they are seen as smarter and younger students must show their respect. Not following those ‘rules’ can cause a lot of problems, such as being ignored or worse. Besides, in Japan it is important that students do not praise their abilities too much or feel superior to others because of them. So, adapting it to this example, students do not raise their hand because of being afraid of receiving disadvantages, such as being excluded or bullied.

Discussing this problem, you can see that the reasons for not raising hand are all connected to Japanese culture and appropriate behavior. You can find Kenkyo in how one student does not want to stick out of the group by asking questions or actively participating in class. So, it is important that everybody is on the same level – like this Japanese proverb describes: ‚The nail that sticks out shall be hammered down‘. But even though nobody should be different, the Samurai’s relationship to lord is an important matter, when it comes to respecting the Senpai who should talk before the younger student. Besides, not questioning topics or asking further questions can be related to the Samurai who never questioned or criticized his lord (Bushido). That leads to the aspect of Honne and Tatemae. While the student’s intention might be to ask or answer many questions he/she does not feel confident doing so because of socially-tuned norms.

Social and cultural values can have a huge impact on the behavior of young Japanese. By sticking to those ‘rules’ made by the majority a class in which students exchange their thoughts, ask further questions and actively participate is impossible. Because, every time a student says something, everybody subconsciously checks, if the person behaves appropriate to those socially-tuned norms.

2. The problem of overwork and endless gratefulness:

Growing up and living in Japan means studying a lot at school and university so that you later can get a good job. But, having a good job often also means a lot of hard work and overtime, which young people maybe first do not realize. At the first glance, this does not seem as if it is related to the Japanese spirit of “die-rather-than-disgrace-yourself”, but indeed it is. The reasons why Japanese people sacrifice themselves so much for hard work have their roots in Japanese culture and history. It is connected to forms of Giri, the Samurai’s relationship to lord and especially Bushido.

Japanese students who graduate from senior high school struggle a lot with studying for entrance exams. Because often parents pay a lot of money for those tests, the child does not want to disappoint them. Trying to fulfill this obligation and showing their gratitude, students study through nights, even if it means going beyond the limit of what they can handle. This is related to the Giri thinking, that you should show respect and give something back to people helping or supporting you. In the era of Samurai, it was possible to regain the family’s grace by doing Seppuku, which is why there is the “die-rather-than-disgrace-yourself” spirit. So, compared to the example of the Japanese student, he/she would rather study to burnout or death than failing at the exam and getting scolded by the parents (Bushido).

Dying because of working too hard happens so often in Japan that there is already the word “Karōshi” to describe it. Especially for young Japanese it is hard to meet those requirements because they are often not used to the resulting stress. Compared to other countries Japanese companies discharge employees very rarely. Because of that the loyalty and gratefulness to the company is more important than the own health and well-being. Through this loyalty and devotion, aspects like the Samurai’s relationship to lord and Giri are shown. An example would be that many young Japanese employees do much overtime, even if it could have a bad impact on them, such as burnout or death. Compared to the Samurai who does Seppuku to regain his family’s grace, nowadays employees do not make use of holidays, work to their limits and value the company more than their family. Because, everything you do different from other employees or that possibly harms the business could in the end ‘disgrace’ you.

Even though Seppuku was abolished in 1873, traditional Japanese values such as Bushido are still important and getting respected by young Japanese. The reason for that is that they orientate themselves towards older and more experienced people – in those cases mentioned above, the parents or older employees. So, I assume in modern Japan the spirit of “die-rather-than-disgrace-yourself” is still very popular but currently changes through Japan being open to foreign cultures since the end of World War 2. This may have a huge impact on Japanese youths in the coming decades.

Here you can find a really interesting article about this topic!

2 Gedanken zu “Was Japaner so ‚anders‘ macht – Wichtige Aspekte der japanischen Kultur

  1. Ich kann es bis heute nicht wirklich nachvollziehen, dass Japaner sich lieber zu Tode arbeiten, als ihren Job zu kündigen. Vor kurzem habe ich im Buchladen in Japan ein Manga gesehen, dass frei übersetzt den Titel „Wenn du bereit bist zu sterben, dann kannst du auch kündigen“ hatte und schon allein dass es solche Mangas gibt, sagt ja einiges. Ich denke auch, dass zu dem kulturen Aspekt noch dazu kommt, dass man durch den Stress auch psychisch krank wird und dann gar nicht mehr warhnehmen kann, dass es auch einen Ausweg aus der Situation gibt.

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    1. Schon interessant, dass solche Themen auch in Manga angesprochen werden. Ich habe ja mal japanische Jugendliche gefragt, ob Mangas auch einen Einfluss auf Politik oder Gesellschaft haben. Dabei wurde mir aber wieder gesagt, dass dies nicht der Fall ist. Ich stimme ich dir aber auf jeden Fall zu!

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